Haushalt 2013

Christian Otto


Rede zur Verabschiedung des Etats der Stadt Ratingen

Christian Otto

Ratsmitglied Bündnis 90/Die Grünen

21. März 2013

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
verehrte Ratsmitglieder,

als mir angetragen wurde, die Haushaltsrede für die grüne Fraktion zu halten, fühlte ich mich geehrt und belastet zugleich. Für meine Entscheidung, die Ehre anzunehmen, sind Sie, sehr geehrter Herr Bürgermeister Birkenkamp, zum Teil mit verantwortlich. Als Sie mir im Januar ein Glückwunschschreiben zu meinem Geburtstag sandten, war diesem ein Gedicht von Goethe vorangestellt. Auch wenn ich nicht weiß, ob es für mich persönlich ausgesucht wurde, fühlte ich mich deutlich davon angesprochen:

Was verkürzt mir die Zeit?

Tätigkeit!

Was macht sie unerträglich lang?

Müßiggang!

Was bringt in Schulden?

Harren und Dulden!

Was macht gewinnen?

Nicht lange besinnen!

Was bringt zu Ehren?

Sich wehren!

 

Bei der Haushaltsrede dürfe ich alles sagen, was mir schon immer am Herzen lag. Diesen Ratschlag bekam ich von meinen grünen MitstreiterInnen auf den Weg.

Nun, vieles, was Grüne in den vergangenen Jahren thematisierten, bleibt auf der Agenda, da sich trotz Lippenbekenntnissen leider so wenig ändert. Wir pusten immer noch zu viel Co2 in die Luft, wir beziehen zu wenig Energie aus erneuerbaren Ressourcen, ein Paradigmenwechsel ist weder bei Stadt- und Verkehrsplanung noch beim Flächenverbrauch zu erkennen. Lokale Themen wie bezahlbarer Wohnraum, Mehrgenerationen-Projekte, fahrradfreundliche Stadt kommen nicht voran. Stattdessen verfasst man wohlfeile Absichtserklärungen und beteiligt sich an Zertifizierungsprogrammen, deren praktischer Nutzen wenig hinterfragt wird. „Kommunaler Awardismus“ statt konkretem Handeln.

Die aktuelle Haushaltslage Ratingens, und die in den nächsten Jahren trotz höherer Gewerbesteuereinnahmen drastisch ansteigende Schuldenlast, scheint bei der Mehrheit des Rates nicht zu den nötigen Einsichten zu führen.

Als ich vor 8 Jahren nach Ratingen zog, war ich sehr beeindruckt von dem „Lebensstandard“ einer 90.000 Einwohner zählenden Stadt. Ein Stadttheater, eine große Stadthalle, ein Stadion mit Kunstrasen. Umgehauen hat mich die Eishalle, ein großer Schützenplatz in bester Lage und 14 um die Altstadt herum gruppierte Parkhäuser und reichlich Parkplätze. Luxuriöse Zustände, auch für Besucher.

Die kosten nun allerdings sehr viel Geld. Zu überprüfen ist, was will, was kann und was muss sich Ratingen weiter leisten, was wollen, können und was müssen wir zukünftig zusätzlich leisten.

Bei kleinen und kleinsten Sozialprojekten und kulturellen Initiativen will man Zuschüsse teilweise ersatzlos streichen oder nach der Rasenmähermethode kürzen. Die einerseits nur geringen Einsparungen im Haushalt bedrohen andererseits die Existenz so mancher, unser Gemeinwesen ungemein bereichernden, bürgernahen Initiative.

Bei Summen von 3,5 Mio € für die Tiefgaragenerweiterung unter dem neuen Rathaus, gerne mit übergroßen Stellplätzen für Sprit schluckende Renommierkarossen und 1,3 Mio € für einen vorgezogenem Sportplatzausbau mit Kunstrasen ist dann der Sparwille schnell vorbei. Die von einem Banker der CDU- Fraktion berechnete Amortisationszeit von einigen Jahrzehnten für die Tiefgarage durch Parkgebühren halte ich schlicht für unseriös.

Für mich als den Sprecher für Stadtentwicklung der Fraktion B90/ Die Grünen stellen sich hier einige grundsätzliche Fragen.

  • Über wessen Haushalt beschließen wir eigentlich heute?
  • Wem nutzen die größten Posten Personal und Investitionshaushalt?
  • Wer wird zukünftig auf überplanten Flächen leben, wer Straßen befahren, Sportangebote nutzen und Kulturveranstaltungen besuchen?
  • Wer will und braucht andere Wohnformen, kurze Wege, eine barrierefreie Infrastruktur?

Zu diesen Fragen zwei Aussagen:

Erstes Zitat :

„In einigen Jahren wird Ratingen mehr als 100.000 Einwohner haben.“ Diesen Satz entnahm ich der Ratinger Stadtbroschüre des Jahres 1978, herausgegeben vom damaligen Stadtdirektor.

Zweites Zitat:

„Ratingen ist heute eine Stadt kurz vor der 100.000- Einwohnermarke.“ So konstatiert mutig der Herausgeber der Publikation “ Go West “ über die Entstehung des Stadtteils Ratingen West, Eckhard Bolenz, in seinem Vorwort aus dem Jahre 2007.

Seit 30 Jahren liegen Fachleute mit ihren Voraussagen über das Ratinger Bevölkerungswachstum daneben.  Wir wissen alle, dass sich die Einwohnerzahl Ratingens seit Jahren, um einen Begriff aus der Finanzwirtschaft zu nutzen, „seitwärts“ bewegt und zwar um die 92.000 Einwohner. Nach wie vor dreht sich die Stadtplanung jedoch noch immer um quantitatives Wachstum. Das Orakel spuckt jetzt den ominösen Überschwappeffekt aus Düsseldorf als Begründung aus. Wegen billiger Mieten werden Düsseldorfer wohl kaum hierher ziehen!

Für das Jahr 2030 sehen Studien der Bertelsmann-Stiftung für Ratingen einen Rückgang der Bevölkerungszahl auf 85.000, die Landesdatenbank NRW eine Zunahme auf 95.000 Einwohnerinnen und Einwohner. 100.000 EinwohnerInnen prognostiziert keine der zugrunde liegenden Rechenmethoden.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sollten sich andere Statistiken vor Augen führen.

Folgenreicher wird für Ratingen nämlich die unstrittige demographische Entwicklung sein. Der Bevölkerungsanteil der über 60- jährigen wird von heute 30% auf fast 40%bis zum Jahr 2030 steigen. Die Anzahl der auf Pflege angewiesenen Personen, hier liegen nur Zahlen für den Kreis Mettmann vor, steigt um 50%.

Wir Grüne fordern: Politik und Verwaltung muss sich dieser Tatsache stellen und heute schon die nötigen Weichenstellungen einleiten.

Meiner Ansicht nach erfordert dies zuerst ein Um- und ein Neudenken unserer Stadtplanung.Ist es sinnvoll, weiterhin Neubaugebiete nur im Hinblick auf junge Familien zu planen? Für den dafür typischen Eigenheimbau können wir die benötigten Flächen ohne Raubbau an der Natur gar nicht mehr bereitstellen.

Gleichzeitig werden in den Siedlungsgebieten der sechziger, siebziger und achtziger Jahre die Bewohner immer älter, haben jedoch innerhalb Ratingens kaum Möglichkeiten, in altersgerechte Wohnungen umzuziehen. Dafür braucht man Geschosswohnungsbau der auch eine Chance auf bessere Altersmischung der Bewohner bietet. Mehrgenerationenwohnprojekte sind zukunftsfähiger als Stadtviertel mit Alterskohorten.

Ein vorbildliches Projekt wie der Neubau der Wogera in der Philippstrasse darf keine Ausnahme bleiben. Für solche Projekte muss Ratingen Anreize bieten, potentielle Investoren auf Förderprogramme hinweisen, B- Pläne erstellen, die nicht auf maximalen Gewinn ausgerichtet sind. Eine hilfreiche Wohnungsbauformel wäre z.B. dritteln: 33% Eigentum, 33% zur Miete, 33% gefördert.

Städtische Liegenschaften könnten dafür geradezu modellhaft stehen, wenn sie im Falle eines Verkaufs nicht dem Markt zur Erzielung des Höchstpreises anheimgegeben werden.

Eine mögliche sachdienliche Bevorzugung von Wohngenossenschaften bei konkreten Einzelfällen lehnte die bürgerliche Ratsmehrheit ab. Den von der CDU – Fraktion eingebrachten Antrag auf Förderung seniorengerechten Wohnens kann ich in diesem Zusammenhang lieber Herr Vielhaus, bei allem guten Willen nur noch als Heuchelei empfinden.

Die Vorstellung der bürgerlichen Parteien von Verkehrsplanung scheint noch immer tief in den sechziger Jahren verwurzelt. Wer „Autogerechte Stadt“, „Freie Fahrt für freie Bürger“, „Parkplatz vor Haus- und Ladentür“ als Daseinsfürsorge empfindet, verschließt die Augen vor der Realität. Wir haben für immer älter werdende Ratinger Bürgerinnen und Bürger zu planen, die in Zukunft weniger Auto fahren, die sicher zu Fuß, mit dem E-Bike oder mit Bus und Bahn mobil sein möchten. Übrigens: Tempo 30 in Innenstädten, von Grün schon lange gefordert, senkt den CO2- Ausstoß, Verkehrslärm wird ohne teure Investitionen vermindert, ebenso Straßenunterhaltskosten. Ob zu Fuß, mit Rad, Rollator oder Auto, es ist dann von 8 bis 80 angenehmer.

Radverkehr tauglichere Verkehrsführung, Anpassung und Verzahnung der ÖPNV-Fahrpläne, echte Barrierefreiheit, dies sind bisher vernachlässigte Bereiche denen wir uns verstärkt zuzuwenden haben.Partikularinteressen dürfen diesen unausweichlichen Veränderungen nicht entgegen stehen, hier hat das Gemeinwohl für Ratingen Vorfahrt.

Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren, ich zitiere zum Abschluss Henry David Thoreau:

 

„Wir sollen unser Land wie unsere Eltern lieben.

Und wenn zu Zeiten wir die Liebe,

Den guten Willen von dieser Ehrenpflicht abwenden,

Sollten wir die Folgen hinnehmen und der Seele

In Verantwortung und Glauben Unterricht erteilen

Und nicht nach Herrschaft und Vorteil streben.

 

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!